Seit dem Wochenende sind die Finanzmärkte rund um den Globus durch die erste Pleite einer großen US-Investmentbank (Lehman Brothers) in Aufruhr versetzt. Die Verfolgung der Ereignisse in den einschlägigen Medien und Fachpublikationen gleicht einer Achterbahnfahrt der Einschätzungen und Meinungen. Die Geschwindigkeit der Veränderungen ist auf jeden Fall überraschend und bereitet doch den meisten Marktteilnehmern und Kommentatoren einige Sorgenfalten auf der Stirn. Angst und Misstrauen prägen derzeit die Börsen.
Festgehalten werden muss, dass es sich zwar um eine historische Zäsur für die Giganten der Wall Street handelt, sich aber andererseits durch die Weigerung von US Finanzminister Paulson die Investmentbank zu retten auch die Chance für eine vielleicht schon überfällige Konsolidierung und Schrumpfung des offensichtlich nicht mehr beherrschbaren globalen Derivategeschäftes bietet. Die Entscheidung von Paulson - nach der Verstaatlichung von Fannie Mae und Freddie Mac - nicht auch noch Lehman Brothers mit Steuergeldern zu retten, kann als kühn und mutig bezeichnet werden. „Too big to fail“ gilt nun nicht mehr.
So obliegt es also den Märkten diese Pleite zu verarbeiten. Ob dies mit mässigen Bremsspuren gelingt oder durch Vertrauensverluste und Kettenreaktionen zu tektonischen Verschiebungen im Finanzsystem führt, kann heute noch niemand sagen. Fakt ist, dass der Finanzsektor (insbesondere das exzessiv gewachsene Derivatevolumen) in den letzten 20 und mehr Jahren deutlich schneller gewachsen ist als die Realwirtschaft. Ökonomen betitelten dies beruhigend als den Zuwachs des tertiären Sektors. In den letzten 10 Jahren hat sich diese Entwicklung sogar noch beschleunigt. Investmentbanken, Hedge-Fonds und andere Finanzinstitutionen erzielten mit stark gehebelten (fremdfinanzierten) derivaten Finanzinstrumenten lange Jahre hohe Eigenkapitalrenditen, ohne die Risikofaktoren in angemessener Weise zu bewerten und zu berücksichtigen. Dass diese Überdimensionierung nun eine Schrumpfkur zur Gesundung vor sich hat ist eine durchaus positive Folge des "schwarzen Sonntags".
Welche Banken und Finanzinstitutionen aus diesem Prozess gestärkt hervorgehen, ist momentan noch nicht abzuschätzen. Auf jeden Fall wird man sich wieder auf die handwerklich solide Form des Bankwesens und dessen originären Aufgaben zurück zu besinnen haben. Der zu stark gewachsene Moloch des financial engineering mit hohen Renditen „aus dem Nichts“ ohne realwirtschaftliche Bezugsgröße wird dabei wieder auf ein gesundes Maß eingedämmt werden. Der Lack der hoch dekorierten und fein betuchten Investmentbanker ist – zu Recht - ab.
Nun sind die Regierungen und Notenbanken weltweit gefragt, die Korrektur des Finanzsektors mit Augenmaß und Stringenz einzuleiten - auch wenn manche Einschnitte schmerzhaft sein werden. Zuletzt waren die Zügel einfach zu lasch angezogen und sorgten so für einen nie gesehenen Wildwuchs an Finanzprodukten und eigenartig komplizierten Geschäftsmodellen, die von selbstbewussten Finanzmanagern (die es aber offensichtlich auch nicht verstanden hatten) als blendende Wachstumsmotoren propagiert wurden. Die Finanzwelt von morgen wird nicht mehr von den reinen Investmentbanken beherrscht werden. Ihr - hoffentlich geordneter - Rückzug hat begonnen.
Für eine Einschätzung ob und wie stark die Realwirtschaft davon betroffen sein wird, ist es in diesem Stadium zu früh. Bisher zeigen sich die nichtfinanziellen Sektoren noch einigermaßen robust, allerdings kann die Psychologie (Angst usw.) an den öffentlichen Märkten in Anbetracht der höheren Dramatik der Ereignisse diesmal eine weit größere Rolle spielen. Die Welt wird sich dennoch weiter drehen.
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